Beratungsstelle hilft Opfern rechter Gewalt
Seit drei Jahren im Visier von Neonazis
Stand: 05.03.2012, 06:00 Uhr
Eine Familie aus Westfalen ist seit drei Jahren im Visier von Neonazis. Jetzt bekommt sie erstmals Hilfe: durch "Back up", einer neuen Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt in NRW. Zurzeit werden aus dem Ruhrgebiet rund 30 Menschen betreut.
Von Claudia Kracht
Es ist später Nachmittag, als die Lehrerin mit ihrem Sohn nach Hause kommt. Sie geht ums Haus herum und schaut sich oft um, bevor sie die Tür aufschließt. Dann zieht sie die Rollos halb herunter und dreht den Schlüssel um. 'Wenn ich draußen vor der Tür irgend etwas höre, das nicht ins Geräusch-Schema passt, schaue ich sofort: Was ist da wieder los?", sagt die Mutter zweier Kinder. "Wir gehen oft auch nach draußen, um die Lage zu checken, ob irgendwas passiert." Seit drei Jahren lebt die Familie in ständiger Angst. Angst vor Neonazi-Angriffen, Angst, wieder überfallen zu werden - und Angst um die Kinder.
"Wir sind die Verbündeten"
Claudia Luzar von "Back up"
Hilfe findet die Familie jetzt bei der neuen Beratungsstelle "Back up" in Dortmund. Sie wurde vor knapp einem halben Jahr gegründet, um Opfern rechtsextremer Gewalt zu helfen. Finanziert wird sie von der Landeszentrale für politische Bildung. Fünf Mitarbeiter betreuen derzeit 31 Personen aus dem Ruhrgebiet - kostenlos und anonym. Leiterin Claudia Luzar von der Universität Bielefeld hat einen Anwalt und drei Sozialarbeiter an ihrer Seite. Mit ihnen ist sie nach einem Angriff oft die erste vor Ort: "Wir lassen die Opfer erzählen, nehmen sie ernst und schreiben erst einmal alles auf, was geschehen ist, und auch, was davor passiert ist. Wir sind ihre Verbündeten", sagt Luzar.
"Guck mal, dein Sohn ist auf einer Neonazi-Seite"
Für die terrorisierte Familie aus einer westfälischen Kleinstadt hat es im Jahr 2009 angefangen. Ein Bekannter teilte dem Familienvater mit: "Guck mal im Internet. Dein Sohn ist auf einer Neonazi-Seite!" Tatsächlich stand auf dieser Seite, eingereiht in eine Liste von Menschen, die alle am Pranger standen, der Sohn mit Foto und Adresse. Darunter war zu lesen: "Aufruf! Da soll was passieren!" Der hilflose Familienvater ging zur Polizei. Ein Kriminalpolizist habe auch länger mit ihm geredet, sagt er. Der Beamte habe ihm aber letztlich zu verstehen gegeben, dass da nicht viel zu machen sei, weil die Internet-Server der Neonazis in den USA stünden – und da komme die deutsche Polizei nicht ran.
Von Alltagsterror bis zu brutalen Überfällen
Ins Visier der Rechtsextremisten ist der Sohn offenbar deshalb geraten, weil er in einem Schüler-Portal einen Aufsatz gegen Rechtsextremismus veröffentlicht hatte. Die ganze Familie beteiligt sich seit vielen Jahren an Anti-Nazi-Demonstrationen, wirbt für Demokratie und engagiert sich gegen Rechtsextremismus. Seitdem ihr Sohn aber im Internet an den Pranger gestellt wurde, hat die Familie keine Ruhe mehr. Immer wieder sind die Autos zerkratzt, werden Steine in Fensterscheiben geworfen, die Hauswände mit Farbe und Aufklebern beschmiert. Hunderte Briefe wurden in der Kleinstadt verteilt, in denen der damals 14-Jährige mit Nazi-Vokabular als "Linker und Antideutscher" beschimpft wurde. "Es gibt für uns zurzeit keine Zufluchtsräume mehr", klagt die Mutter.
"Viele Opfer, die wir in den letzten Monaten betreuen, erleben ähnliche Übergriffe", berichtet Claudia Luzar. So sei zum Beispiel eine afrikanische Familie auf dem Weg zur Arbeit verfolgt worden, später sei ihr Kinderwagen im Hausflur zerstört gewesen. Andere fänden Nazi-Symbole an ihren Hauswänden. Ein Jugendlicher sei gar auf seiner Geburtstagsfeier in einer Kneipe von Neonazis niedergestochen worden.
Von der örtlichen Polizei alleingelassen?
Auch der Sohn der betroffenen Familie wurde von drei maskierten Männern vor der Haustür verprügelt. Die Kripo wollte den Anschlag nicht der rechten Szene zuordnen, erinnert sich die 54-jährige Mutter. Seither fühlt sie sich von der Polizei im Stich gelassen. Erst recht, nachdem nachts ein dicker Stein durch ihr Fenster geflogen war. Die Polizei habe eine Anzeige gegen Unbekannt aufgenommen, die Versicherung komme aber nicht für den Schaden auf. Die Mutter erläutert: "Wir hatten postkartengroße Bilder im Fenster. Da stand drauf: 'Demokratie', 'Menschenwürde' und solche Begriffe." Die Polizisten hätten gesagt, dass sie sich mit solchen Schildern im Fenster nicht wundern dürfe, wenn etwas passiere.
Anwälte für die Opfer
Bedrohungen machen hilflos
Heute hilft bei solchen Angriffen "Back up". Die Betreuer fahren gemeinsam mit den Opfern zur Polizei und achten darauf, dass die Anzeigen richtig aufgenommen werden. Rechtsanwälte stehen den Betroffenen bei, wenn sie als Nebenkläger am Prozess teilnehmen können. "Und bei Übersetzungs-Schwierigkeiten besorgen wir Dolmetscher, etwa für kurdisch, spanisch, italienisch oder afrikanische Sprachen", sagt Luzar. Erst vor wenigen Tagen sei wieder eine Person überfallen und schwer traumatisiert worden. Die habe sie zu einem Psychologen gefahren - und alle formellen Dinge geregelt. Für eine der Opfer-Familien habe "Back up" bereits Schadenersatz erwirken können, 28 weitere Verfahren seien im Gange. "Die ersten Täter werden noch in diesem Jahr vor Gericht stehen", versichert Luzar.
"Ehrlich, wir haben Angst!"
Die Familie aus dem Ruhrgebiet trifft sich in Kürze mit Unterstützung von "Back up" erstmals zu einem Gespräch mit dem Staatsschutz. Es werde einen "Runden Tisch" mit anderen Opfern geben - und "Back up" wird der Familie und anderen betroffenen Personen weiter zur Seite stehen. "Das ist für uns wichtig", sagt der Vater. "Abschütteln kann man das nämlich nicht. So ein Steinwurf beschäftigt einen ständig. Wir haben immer gedacht: "Was kommt jetzt als Nächstes? Das ist schon eine Dimension, die einem Angst macht. Ehrlich, wir haben Angst!"