Karin Niehoff hätte es gerne gesehen, wenn ihr Opel Corsa von einem anderen Besitzer weitergefahren wäre. Allerdings nicht illegal. "Von den kriminellen Machenschaften mit der Prämie profitieren doch nur die Schmuggler", nimmt die Mönchengladbacherin an. Hochgerechnet sollen bis zu 50.000 Fahrzeuge, die eigentlich in der Schrottpresse landen sollten, weiterverkauft worden sein. Unter anderem nach Afrika oder Osteuropa.
"Es wäre aber eine gute Sache gewesen, wenn die Bundesregierung erlaubt hätte, dass die fahrtüchtigen Autos ins Ausland verkauft werden dürfen", findet Karin Niehoff. Ihr rotes "Schätzchen" war zwar fast 14 Jahre alt, hatte aber nur etwas über 85.000 Kilometer auf dem Tacho und war gut in Schuss. "Er wäre dafür ein guter Kandidat gewesen."
Ein "Freund und treuer Begleiter"
Wäre Anfang des Jahres die Abwrackprämie nicht eingeführt worden, hätte die Mönchengladbacherin ihren roten Corsa "weitergefahren, bis er aufgibt". Doch wegen der Prämie von 2.500 Euro wurde er entsorgt. Wie hunderttausende andere Deutsche kam Karin Niehoff ins Grübeln und Rechnen: "Wie lange hält er noch durch? Was, wenn er kaputt geht und die Prämie ist gerade verebbt? Das wäre ärgerlich gewesen."
Karin Niehoff sah sich in einer Zwickmühle. Schließlich war "Er" äußerst zuverlässig: "Eine Reparatur außerhalb der Reihe hat er nie gehabt. Die erste Batterie hielt elf Jahre." Der Weg zu ihrer Arbeit, in eine Schule, wo sie als Sekretärin arbeitet, war immer gesichert. Und als renoviert wurde, half der Corsa beim Schutt-Transport. Für Karin Niehoff war ihr Auto ein "Freund und treuer Begleiter". Als Erinnerung an ihn hat sie sich sogar die Fahrzeugpapiere kopiert.
Abwrackprämie löst seelischen Konflikt aus
Mit Trennungsschmerz kennt sich Stephan Grünewald gut aus. Er ist Psychologe beim Rheingold Institut in Köln. Es könne sehr weh tun, sich von solch einem Freund zu trennen, sagt er. "Die Abwrackprämie löst bei vielen Menschen einen seelischen Konflikt aus. Sie bringt sie aus dem Gleichgewicht." Zum einen halte man an dem Altvertrauten und Bewährten fest. Zum anderen sei aber unterschwellig der Wunsch nach etwas Neuem, Aufregenden vorhanden. Durch den Anreiz Abwrackprämie wird die Sehnsucht nach etwas Neuem nach oben gespült. "Entscheide dich jetzt, sonst verpasst du etwas." Das sei die Message dahinter, so Grünewald. Viele werden sie hören: Bis zu 500.000 Bundesbürger werden sich nach Erwartungen des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) von ihrem alten Auto trennen. Voraussichtlich Ende Oktober schon wird der Topf der Prämie aber leer sein.
Hauptsache in guten Händen
Für einige Alt-Auto-Besitzer ist es aus psychologischer Sicht erleichternd, wenn der geliebte Wagen verschrottet wird, anstatt ihn in anderen Händen zu wissen. "Es täte ihnen weh, wenn sie sehen würden, dass ein anderer den Wagen lenkt", analysiert Grünewald. "Das ist wie nach einer Scheidung: Es tut weh, wenn der Ex-Partner einen Neuen hat." Karin Niehoff gehört zu einer anderen Kategorie: Sie hätte einen anderen Besitzer favorisiert. Hauptsache: Der Corsa wäre in guten Händen gewesen. Aber durch das gesetzliche Verbot des Weiterverkaufs stand das ohnehin nicht zur Debatte.
Bis zum Neukauf dauert es oft zwei Jahre
"Normalerweise dauert der Entscheidungsprozess bis zu einem Neuwagenkauf an die zwei Jahre", weiß der Psychologe Grünewald. Erst hat das eigene Auto vielleicht ein paar kleine Pannen, dann nimmt man eine Zeitschrift in die Hand, guckt sich in der Werbung neue Modelle an, geht dann in ein Autohaus und beschnuppert das Objekt der Begierde. Doch die Abwrackprämie drückt aufs Tempo.
Karin Niehoff hat sich "nur zwei Wochen" bis zur Entscheidung gequält. Sie wollte einen neuen Corsa. Den gab es aber nicht mehr. So wurde es ein silberfarbener Polo. "Die Farbe passt heute besser zu mir. Früher war es rot", beschwichtigt sie sich. Und von der Servo-Lenkung ist sie auch sehr angetan. Sie will den Polo so lange fahren, bis er schrottreif ist - oder dann die nächste Abwrackprämie kommt.